You are currently viewing Let’s go on

Let’s go on

Es ist die Zeit von Corona, oder Covid 19. Die Nachrichten sind voll davon, es gibt Sondersendungen rund um die Uhr. 

Aus dem Lautsprecher ertönt Bill Evans, You Must Believe in Spring. Programmmusik, Frühlingsjazz, perfekte Technik, der Rhythmus bewegt sich auf der Welle, geht in den Kopf. Mit Musik kann man die Zeit anhalten. Die rechte Hand streichelt sphärische Akkorde in den Raum, der Bass ist trocken. Ein guter Percussionist rhythmisiert das Stück.

Kürzlich in der Straßenbahn:

Vor mir sitzt ein Fahrgast, der nervös zwischen den Sitzen wechselt und mit dem Zeigefinger Sätze in die Luft schreibt.
Es entspinnt sich ein merkwürdiger Dialog.

Laut:„Hallo, können sie mir sagen, wie spät es ist“?
Er blickt er auf einen großen Mann, der eine Jacke trägt, die ihn als Mitarbeiter der Bahngesellschaft ausweist.
Leise: „Ich habe leider keine Uhr dabei“.
Laut: „Ich muss wissen, wann diese Bahn an der Endstation ankommt, ich habe da einen wichtigen Termin“.
Hilfsbereit: “Habe leider keine Uhr“.
Laut: „Warum? Ich frage nur freundlich nach der Zeit nach, ich habe einen wichtigen Termin“.
Freundlich-distanziert: „Wie kann ich ihnen helfen“.

Laut: „Ich habe einen wichtigen Termin bei der Kriminalpolizei, ich bin ein stolzer Sizilianer“.
Hilfsbereit: „Wohin nochmal“?
Laut:“Zur Endstation, immer das gleiche hier, man wird verarscht, so ist es in Deutschland, ich will doch nur wissen ob ich um 14:00 Uhr meinen Termin noch schaffe“.

Man sagt, dass diese Krise die schlimmste nach dem 2.Weltkrieg ist.

Ich treffe den Kaiser in einer Bar in Tokio. Nach einigen Whiskys sprechen wir über die Unterschiede zwischen Europa und Japan. Akihito ist gut drauf. 

„Wir haben keine Atombomben mehr“.
„Die hattet ihr noch nie“.
Akihito lächelt weise und sagt dann:
„Vielleicht“.
„Gibt es noch Whisky“?
Akihito: „Ja gerne, ich bestelle noch eine Runde“.
Ich  betrachte seine Frau. Schlaffe Brüste, aufgeklebte Wimpern, einen Gang wie ein lahmer Leopard.
Akihito: „Ich schicke sie weg“.
Ich: „Danke“.
Akihito:“In Zukunft wird mein Sohn den Laden schmeißen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Pink Floyd, Dark Side of the Moon auflege?“
Ich:  „Wenn es Ihrer Frau auch gefällt, gerne“.
Akihito: „Die geht jetzt ins Bett“.
Ich: „Super“.
Akihito: „Ich liebe meine Frau, sie ist die Zierde meines Lebens sie ist mein Elixier“.
Ich: „Leck mich.“
Akihito: „Ich weiß wie unkultiviert Europa ist“.
„Wo bleibt der Whisky?“
Akihito:“Frage ich mich auch.“
Akihito: „ Als sie damals das Interview mit Marlon Brando geführt haben, hat er etwas über Sex erzählt?“
Ich: „Ja, absolut, es ging um Penetration.“

Ich verlasse das Lokal, höre dabei Pink Floyd. Die Straßen in Tokyo sind belebt, an einer Ecke bietet mir ein Typ mit einer überdimensionalen Sonnenbrille gebrauchte Damenhöschen an, ich überlege kurz und lehne dann ab, zu teuer.

Bevor Sie weiterlesen ein paar Zeilen zur Erklärung: Jeder Autor will einfache und wahre Geschichten erzählen, wahre Begebenheiten sind aber oft langweilig. Nur ab und zu findet sich im Leben eine Geschichte mit einem poetischen Kern. Autoren sind wie Trüffelschweine, anstatt grunzend nach wertvollen Pilzen unter der Erde zu graben, suchen sie aber nach Ideen, daraus werden dann Geschichten geformt, die sich traurig, tragisch, komisch oder überhaupt ganz anders lesen.

Mit diesem Text will ich Sie lediglich unterhalten, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Japan ist schön und skurril und beides gleichzeitig. Die Menschen leben auf engstem Raum und sind außer ihren Frauen noch mit ihrer Arbeit verheiratet.

Abends geht man mit den Kollegen in die Bar, um dort seine Verbundenheit mit der Firma zu feiern, Gesellschaftskapitalismus der humorlosen Art.

Wenn man in Tokio unterwegs sind, tauchen manchmal unvermittelt bunte Maskottchen auf die zu albernen Choreografien tanzen. Ebenso schnell wie sie gekommen sind, verschwinden sie gleich wieder im nächsten großen Kaufhaus. Es gibt sogenannte Yuru-Chara-Festivals, dort treffen sich gleichgesinnte Maskottchen in großer Menge, um gemeinsam zu feiern und vielleicht auch, um Damenhöschen zu tauschen.

Ich reise nach Kyoto, man hat mich dort für einen Umami-Kurs engagiert.

Eine schöne Stadt, besonders im April, es ist die Zeit der Kirschblüte. Überall finden Hanamis statt, man feiert mit Freunden und Familie in den Parks, zuhause, oder draußen in der Natur, der Sake fließt in Strömen. Zu diesem Fest lässt man in Japan fünf auch mal gerade sein.

Nach der Ankunft habe ich noch Zeit für einen kleinen touristischen Abstecher. Beim ersten Licht fährt mich ein Taxi zum Kinkaku-ji. Ich freue mich auf diese Ablenkung, mindestens genauso, wie auf das schöne Honorar für den Kurs.

Mit Kursen halte ich mich über Wasser, mit Reden für Firmenjubiläen und Trauerfeiern, mit Kritiken und Kurzgeschichten. Manchmal landet das Honorar sogar auf dem Konto, wir Lohnschreiber stehen ganz unten in der Nahrungskette. 

„Wir würden Sie gerne für diesen Text haben, unser Budget gibt leider aber nicht viel her“. Diesen Satz höre ich fast immer, wenn ich gebeten werde, etwas zu einem bestimmten Thema zu schreiben, man gewöhnt sich daran, ich jammere nicht, jammern ist erbärmlich. Ironie ist besser. Ironisches Jammern am besten.

Kinkaku-ji ist mit Gold überzogen, der Tempel glüht im morgendlichen Sonnenlicht. Direkt davor gibt es einen kleinen See, in dem sich das Gebäude sanft lächelnd widerspiegelt.

Nur wenige Touristen sind um diese Zeit unterwegs. Ich beobachte eine schlanke, elegant gekleidete Frau, die unablässig fotografiert und dabei schrille, helle Entzückensschreie ausstößt. Wie wird sie sich wohl in anderen Situationen artikulieren? Der Gedanke begleitet mich auf der Fahrt ins Hotel.

Bevor ich das Zimmer betrete, bittet man mich freundlich darum, die Schuhe auszuziehen. Aus dem Fenster sieht man den Kyoto Tower. Außer dem großen Futonbett aus Zedern-Holz ist das Zimmer unmöbliert. Vor dem geräumigen Apartment gibt es einen kleinen, von einer Schiebetüre abgetrennten  Raum für das Gepäck. 

Die Wände sind mit kunstvollen Tapeten bezogen, darauf sind fliegende Kraniche und Kirschblüten abgebildet. Hinter einer weiteren Schiebetüre befindet sich die vollautomatisierte Toilette, während der Benutzung kann man aus einer Playlist die gewünschte Beschallung auswählen.

Ich schwanke zwischen Yellow Submarine, Forellenquintett und Ballade pour Adeline, entscheide mich schließlich für Anarchy in the UK von den Sexpistols.

Right now ha, ha, ha, ha, ha

I am an anti-Christ

I am an anarchist

Don’t know what I want

But I know how to get it

I want to destroy the passerby…

…I want to be anarchy

And I want to be anarchy

(Oh what a name)

And I want to be an anarchist

(I get pissed, destroy!)

Mathias

Über den Autor: Mathias Guthmann schreibt unter anderem für kulinarische Zeitschriften und den Schachsport. Seine Essays und Kurzgeschichten haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert. In der freien Wirtschaft berät der Autor eine Firma zu PR-Strategien.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Sven

    Was möchte uns der Autor mit diesen Zeilen sagen? Und warum ist es schon wieder so spät?

    1. Mathias

      Ein Fortsetzungsroman, da möchte man doch nicht gleich sein Pulver verschießen…

      1. Sven

        Ich war – wie so oft – zu ungeduldig, bitte verzeih‘. Der Roman nimmt mittlerweile Form an, liest sich schön 🙂

  2. Moritz

    Ich frage mich ja, in welche dadaistisch anmutenden Welten der Autor uns nächste Woche entführt. Wird es eine Fahrradtour? Eine Apres-Ski-Party in St. Anton? Oder trifft er Jarry höchstpersönlich? Man darf gespannt sein

  3. mathias guthmann

    Nichts von alledem lieber Moritz, abwarten und Tee oder Bier trinken.

Schreibe einen Kommentar