Ich bin in Japan gelandet, habe dort Whisky mit dem Kaiser getrunken, Maskottchen kennengelernt und eine unglaubliche Reise nach Kyoto unternommen. Dort gab es einen Autounfall und mein Kurs musste ausfallen. Lesen Sie nun, wie es in Tokio weitergeht.
Frühmorgens erreiche ich Tokio.
Es ist kalt, ich bin müde und deprimiert. Die letzten Tage haben auf das Gemüt geschlagen.
Noch gibt es wegen der Seuche keine Ausgangssperre in der Stadt, die Straßen sind erstaunlich leer. Man sieht maskierte Passanten, Geschäftsleute die hastig zur Arbeit laufen, Schüler die in kleinen Gruppen unterwegs sind, sie wirken alle merkwürdig seelenlos. Die Stimmung ist bedrückend.
Es gibt ein Essay von Masahiro Mori, der in den 70er Jahren Professor für Regelungstechnik an der Technischen Hochschule in Tokio war, es heißt Bukimi no Tani Gensho, zu Deutsch: Das unheimliche Tal. Darin beschreibt Mori, wie unsere Affinität zu Robotern und anderen Entitäten zunimmt, wenn diese menschenähnlicher aussehen. Das Essay wurde sogar als Theaterstück aufgeführt. Seine Arbeit war damals bahnbrechend, bis heute herausragend ist seine Roboterhand und die sich selbstständig bewegenden Beine.
Sind es Roboter, die sich an diesem Morgen durch die Stadt bewegen?
Endlich finde ich ein Straßenlokal. Im Gegensatz zur verödeten Stadt ist es dort warm und belebt.
Dicht gedrängt essen die Gäste Ramen. Blitzschnell werden die dampfenden Schalen mit Nudeln in allen Variationen über die Theke gereicht und geräuschvoll verzehrt. Ein Platz wird frei. Ich bestelle ein Bonshan Ramen. Die köstliche, heisse Suppe belebt die Sinne und vertreibt die Müdigkeit, es schmeckt…umami.
Aus dem Fenster erblicke ich, nicht weit entfernt, das Shangri-La, eines der besten Hotels in Tokio. Ich zahle beim Chef, der soweit man es sehen kann, überall tätowiert ist, an seinen Ohren hängen große, goldene Ringe, auf dem Kopf trägt er eine kecke, schwarze Mütze.
Sein Blick ist fröhlich und aufmunternd.
Das Schicksal zeichnet sich in die Gesichter der Menschen, dieser Koch macht schon sein Leben lang Ramen-Nudeln, für ihn gibt es nichts anderes, es ist sein Glück auf Erden.
Als ich das Lokal verlasse, pfeift mir der kalte Wind um die Nase. Ganz langsam fährt ein großer Mercedes an mir vorbei, ich fühle mich beobachtet und beschleunige den Gang.
Endlich betrete ich das Shangri-La. An den Wänden des Marmor-Palastes hängen unzählige Kunstwerke die nicht den Eindruck machen, als würde es sich um Kaufhausmalerei handeln, exquisit.
Ich liebe die Diskretion in Luxushotels. Wenn man alleine reist, macht der Aufenthalt in so einem Hotel die Einsamkeit zu einem unterhaltsamen Spiel. Man fühlt sich abgekapselt, in einer anderen Welt. Wenn man zu zweit unterwegs ist…, darüber muss man keine Worte verlieren.
Ich fasse in die Innentasche meines Anzugs, der Umschlag darin fühlt sich dick und beruhigend an, er knistert trocken zwischen meinen Fingern.
Die Empfangsdame, trägt ein Modellkleid, das von Dior sein könnte. Ihre glänzenden, schwarzen Haare umrahmen ein makelloses, helles Gesicht, die Lippen sind mit einem dezenten Rot angemalt, ihre Hände, mit sorgfältig lackierten Fingernägeln in Mattsilber, ruhen elegant auf einem kleinen Stapel Papiere.
„Schön, dass Sie da sind, haben Sie reserviert?“, fragt sie mich neugierig und gleichzeitig zurückhaltend.
„Nein, aber wenn es noch ein freies Zimmer gibt, würde ich es gerne nehmen“.
Die Dame tippt etwas in die Tastatur, wartet ein paar Sekunden, blickt kurz auf den Monitor und sagt:
„Wir haben noch Horizon Zimmer und Suiten, im Prinzip haben Sie die freie Wahl. Die Horizon Zimmer befinden sich zwischen dem 30. und dem 40. Stockwerk, die Suiten darüber“.
Das Risiko für diese Mission ist mir eine Suite wert, außerdem habe ich manchmal einen Hang zum Größenwahn.
„Ich nehme eine Suite und zahle in bar“, sage ich unbeteiligt und schweife dabei gelangweilt mit dem Blick durch die Lobby.
„Dann würde ich Ihnen die Premier Suite im Nummer 4 im 41. Stockwerk empfehlen. Sie verfügen dort über 120 m2, es gibt einen Whirlpool und einen wunderbaren Blick über die Stadt“.
„Einverstanden“, sage ich und nicke dabei der Dame zustimmend zu.
„Wunderbar, jemand bringt das Gepäck hoch und zeigt Ihnen alles“.
„Nicht nötig, ich bezahle und finde den Weg schon alleine“.
„Ok, Nummer 4 auf 41“.
Wir regeln die Formalitäten und ich fahre mit dem Aufzug nach oben.
Am Ende bleibt uns nur der Name. Das gilt als Gottesleugner oder als bigotter Religiöser, die meisten Religiösen sind bigott. Zum Beispiel die Evangelikalen, sie lügen sich in die Tasche und denken, dass sie dabei eine Erfahrung erleben, die sie über alle anderen Menschen erhebt. Viele weiße Evangelikalen halten auch in den absurdesten Situationen zu Donald Trump, obwohl er nach christlicher Anschauung offensichtlich der Antichrist sein muss. Natürlich sind auch Katholiken, Moslems, Protestanten, Juden, Hindi, und Buddhisten bigott, jeder auf seine Weise. Die unendliche Arroganz der Religionen, jede so bigott wie es nur geht.
Religionen führen zu Fanatismus, das ist bekannt. Obwohl es der Logik widerspricht, werden sie trotzdem praktiziert. Stellen Sie sich doch einfach einmal eine Welt ohne Religion vor. Auf Anhieb fällt mir nur eine Konsequenz ein: Frieden.
Wenn es nicht nur nicht diese menschlichen Eigenschaften wie Hass, Habgier, Eifersucht, Mordlust, oder Machtstreben gäbe. Die Liebe kann das nicht ganz aufwiegen. Eine komplizierte Situation. Mit oder ohne Religion. Aber wenn schon Religion, dann bitte mit einem Gott für jede Gelegenheit, für die Liebe, die Hoffnung und den Hass, da weiß man dann, wo die Klage einzureichen ist.
Ich steige auf 41 aus und betrete die Suite Nummer 4. Der Blick auf die Stadt ist erstaunlich. Tokio zieht sich bis zum Horizont. Die Industrie ist im Lockdown, die Luft ist klar, man sieht in der Atmosphäre keine Partikel. Die Häuserlinien zeichnen sich deutlicher ab, als vor der Krise. Jede feine Schattierung, jedes Detail ist zu erkennen. Selbst die wenigen Menschen auf der Straße sind greifbar realistisch, nur von der Perspektive in die Ferne gerückt. Ein Mittag ohne Smog.
Unter mir liegt das Finanzviertel mit seinen gläsernen Bauten. Dahinter ein Meer aus Hochhäusern, das sich endlos erstreckt. In den engen Wohnungen wird gestritten, geliebt und gelacht. Die Selbstmordrate ist hoch in Japan, man darf sich nicht darüber wundern.
Ich krame das Päckchen von Kaito aus meiner Tasche und lese die Adresse:
2 Chome-4-1 Marunouchi, Chiyoda City, Tokyo 100-6390, Mr. Takeshi Kitano
Die Suite hat eine Bar, ich finde eine Flasche Whisky und gieße mir eine großes Glas ein.
Das Päckchen hat noch Zeit bis zum nächsten Tag.