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Let‘ go on 1.6

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Vielleicht kennen Sie ja dieses seltsame Gefühl, plötzlich etwas zu durchleben, das sie bisher aus ihrer Vorstellung ausgeschlossen haben. So ging es mir an jenem Abend in Me’a Sche’arim. Ich wusste nicht genau, was ich fühlen sollte.

Wir kamen zu einer Bäckerei, einer orthodoxen Bäckerei natürlich. Dort arbeiteten nur Männer, das ist eine Ausnahme, denn in der Regel übernehmen in diesem Viertel die Frauen die Hauptarbeit.
Kinder kriegen, einkaufen, kochen und Geld beschaffen. Die Männer treffen sich in der Synagoge oder in Gebetshäusern, um dort die Schriftrollen zu studieren, die genau diesen Status Quo dialektisch zementieren sollen. Für Arbeit bleibt da natürlich keine Zeit.

In der Bäckerei war man von unserem Besuch nicht begeistert, einer der jungen Männer blies mir gleich zur Begrüßung eine große Ladung Mehl ins Gesicht und auf die Kleidung.
Sie müssen sich vorstellen, dass wir für diese Menschen nichts anderes waren, als dekadente, westliche Touristen, Gesandte des Satans, ich als Deutscher sowieso.

Ich habe gelacht und den Mann freundlich angeschaut. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich den Eindruck, dass meine Kollegen, im Gegensatz zu mir, schockiert waren.
Besonders unser Russe, er hieß Vladimir, war aufgebracht. Für ihn sollte nur das Feinste auf den Tisch kommen, in seiner Heimat hat er wohl einen gewissen Namen, jedenfalls war er sehr wütend und scheinbar unfähig, diese ungewöhnliche Situation anzunehmen. Damals dachte ich:Was bist du für ein aufgeblasener Hohlkopf!

Endlich kamen wir zu einem kleinen Lokal an einer Kreuzung. Die Straßen waren plötzlich sehr belebt, es gab dort, zu meinem Erstaunen, viele zweirädrige Pferdekarren, die meisten waren schwer beladen. Routiniert wurden sie von ihren Besitzern durch den chaotischen Verkehr dirigiert, alles schien mir sehr anachronistisch zu sein. In Me’a Sche’arim schert man sich einen Dreck um die Bequemlichkeiten der Neuzeit.
Meine Gefühle schwankten inzwischen zwischen Lachen und Weinen.

Mathias

Über den Autor: Mathias Guthmann schreibt unter anderem für kulinarische Zeitschriften und den Schachsport. Seine Essays und Kurzgeschichten haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert. In der freien Wirtschaft berät der Autor eine Firma zu PR-Strategien.

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